Olga V. Cieslarova
Basel ist eine wunderschöne Stadt am Ufer des Rheins, nur einen Steinwurf von Frankreich und Deutschland entfernt und mit zweihunderttausend Einwohnern die drittgrößte Stadt der Schweiz. Der Karneval, der in seiner heutigen Form seit Ende des 19. Jahrhunderts gefeiert wird, ist der größte des Landes (rund dreißigtausend Teilnehmer in Masken) und der größte protestantische Karneval überhaupt. Vielleicht ist es der protestantische Hintergrund, der eine besondere Synthese aus karnevaleskem und ernstem, direkt militärischem Charakter hervorgebracht hat, die ihresgleichen sucht. Denn wenn man erwartet, dass Karneval eine Zeit des Umbruchs, der Fröhlichkeit, der Trunkenheit und vielleicht sogar ein gewisses Maß an Obszönität (im Sinne von Michail Bachtin) ist, wird man enttäuscht oder angenehm überrascht sein. Ja, das Umkippen ist wahr, die Fröhlichkeit auch, aber man trifft nicht auf Betrunkenheit, tanzende Ausgelassenheit oder Obszönität. Während der Fasnacht entfaltet sich vor uns ein Geysir der Kreativität, ein satirischer Kommentar zum Zeitgeschehen, ein lebendiges Ritual, an dem Bewohner aus allen Gesellschaftsschichten teilnehmen und das auch sehr ernst gemeint ist. Drei Tage lang verwandelt sich die Basler Innenstadt in ein karnevalistisches Schlachtfeld, durch das maskierte Truppen in einem art Militärmarsch (“links, links, links”) hin und her marschieren. Statt zu schießen, trommeln und pfeifen sie und marschieren in die Schlacht, in der sie satirisch die Verfehlungen der Gesellschaft ans Licht bringen und thematisieren, was im vergangenen Jahr passiert ist. Sie laufen maskiert durch die Stadt, trampeln durch den öffentlichen Raum, über den sie die Kontrolle übernommen haben, und feiern die Fasnacht, das Fest der Demokratie und der Zivilgesellschaft par excellence. (1)
“Ich wache an einem Montag um drei Uhr morgens auf. Ich gehe zum Rhein und lasse mich zur Kathedrale rüberfahren. Von allen Seiten strömen kostümierte Menschen in die Innenstadt, große Larven noch unter dem Arm. Sie gehen in einem schnellen Tempo, das nach Vorfreude riecht. Es geht auf vier Uhr zu. In der Mitte des Platzes vor der Kathedrale hat sich ein Korridor gebildet, in dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit den bereits eingesetzten Larven regungslos stehen. Hunderte von Zuschauern stehen herum. Die Spannung steigt. Die Glocke auf dem Turm beginnt zu läuten. Ringsherum gehen die Straßenlaternen aus und der Ruf “Fasnacht, Vorwärts, Marsch!” ertönt von den Anführern der einzelnen Gruppen. In diesem Moment erklingt die Eröffnungsmelodie und die Masken werden in Bewegung gesetzt. Wie ein Blitz durchfährt mich eine Explosion der Freude, die auf der Welle einer musikalischen Sinfonie, die von allen Seiten erklingt, hinausgetragen wird. Ich brach in Tränen aus. Ich stehe wie gebannt und bin fasziniert von dem, was vor mir und in mir passiert. Es ist völlig dunkel. Die einzigen Lichter sind die kleinen Laternen, an deren Köpfen Masken befestigt sind, und die großen Laternen, die jede Clique trägt. Truppen der Masken spielen Piccolos und Trommeln und marschieren. Die Basler Fasnacht beginnt.” (2)
RUND UM DIE FASNACHT
Die Basler bezeichnen die Fasnacht als die fünfte Jahreszeit, als “die drei schönsten Tage des Jahres” (die drey scheenschte Daag), und obwohl sie natürlich ein ziviles Silvester feiern, ist der wahre Jahreszyklus für sie von Fasnacht zu Fasnacht.
Das Ganze beginnt am Montag nach Aschermittwoch um genau vier Uhr morgens (3). Dieser Beginn wird als Moorgenstraich (Morgenstreik) bezeichnet. Die öffentlichen Lichter in der Innenstadt gehen aus und Tausende von Piccoloflöten und Trommeln beginnen, die gleiche Marschmelodie zu spielen, die nur zu diesem Anlass gespielt wird. Dann setzen sich alle Gruppen zu den Klängen der Musik in Bewegung. Es ist auch der Moment, in dem die großen Konstruktionen, die sogenannten Laternen (Ladäärne), zum ersten Mal erleuchtet werden. Nach ein paar Stunden Gässeln durch die Stadt gehen die Teilnehmer eine Weile schlafen, aber schon um 14 Uhr (am Montag) beginnt der erste Cortège-Umzug, der den ganzen Nachmittag dauert. Gruppen, die Piccolos und Trommeln spielen (Clique genannt), präsentieren satirische Themen (Masken, Kostüme, Pamphlete, Laternen, Konstruktionen), gehen hintereinander und verteilen Pamphlete. Die Cliquen werden bei dem Umzug von Blaskapellen (Guggemuusig), verschiedenen Karnevalswagen (Waage) und Kutschen (Chaise) begleitet. Zehntausende von Zuschauern, sowohl Basler als auch Ausländer, beobachten sie an den Straßenrändern. Der Dienstag ist ein freier Tag, der den Kindern und Familien (Kinderfasnacht), dem Umzug und dem Blasmusikkonzert (Sternkonzert) gehört. Am Mittwochnachmittag wird der Cortège wiederholt, wobei die Gruppen wieder den ganzen Nachmittag auf einer vorgeschriebenen Route durch die Stadt marschieren, diesmal in die entgegengesetzte Richtung.
Immer nach der Prozession am Nachmittag und einem gemeinsamen Abendessen ziehen die Gruppen weiter durch die Straßen und spielen, oft bis in die frühen Morgenstunden. Dieser unkontrollierte Durchzug von maskierten Gruppen durch die Straßen der Stadt ist als Gässle bekannt (vgl. die Gasse). Der Cortège am Nachmittag ist ein Theater, eine Promenade, die dem Publikum Themen präsentiert. Der Nachtspaziergang hingegen hat eine intime, sogar meditative Dimension. Deshalb sind die Straßen und Gassen der Basler Innenstadt Tag und Nacht mit Cliquen, Blaskapellen und hunderten von kleineren Gruppen gefüllt. Sie laufen alle die Straßen auf und ab und spielen, besuchen dann eines der vielen Lokale und Kellereien (die oft nur während der Fasnacht geöffnet sind) und ziehen dann wieder weiter. Das Koordinationsgremium Fasnachts-Comité berichtet von 10-12 Tausend Masken bei den Cortége-Umzügen am Nachmittag und Tausenden weiteren, die vor allem in den Nächten teilnehmen, was auf die große Beliebtheit dieses intimen Fasnachtsteils hinweist.
Das Ende der Fasnacht wird Ändstraich (letzter Streik) genannt und findet am Donnerstagmorgen um 4 Uhr statt, genau 72 Stunden nach dem Moorgestraich. Die Gruppen spielen ihren letzten Marsch, die Reinigungsfahrzeuge fahren durch die Straßen und in ein paar Stunden werden an der Fasnacht nur noch Konfetti (Räppli) errineren, die zwischen den Pflastersteinen liegen. Aber die Basler sagen, wenn die Fasnacht vorbei ist, bereiten sie sich schon auf die Nächste vor.
SATIRE
Das Jahr auszuwerten, das herauszufegen, was unter den Tisch gekehrt wurde, versteckte Praktiken aufzudecken, kritisch und humorvoll auf gesellschaftliche und politische Ereignisse aufmerksam zu machen, ist das Ziel der Fasnachtssatire. Das Niveau ist natürlich unterschiedlich, da Baslerinnen und Basler aus allen Gesellschaftsschichten an dem Fest teilnehmen. Das ganze Jahr über treffen sie sich, um musikalische Märsche auf Piccolos und Trommeln zu proben und dann gemeinsam über ein satirisches Thema (Sujet) nachzudenken. In Zusammenarbeit mit Künstlern setzen sie dieses Thema (Sujet umsetzen) auf eine visuelle Ebene um, indem der Künstler eine Laterne malt (Ladäärne, ein getragenes oder gebundenes Gebilde, das mit Szenen und kurzen Versen in Mundart bemalt ist und von innen beleuchtet wird). Dazu gibt es Pappmaschee-Masken (Laarve), die das ganze Gesicht bedecken, und Kostüme (Goschdüm), die von Trommlern, Pfeifern und einer Avantgarde (Voortrab) getragen werden, die nicht spielt, sondern ein Pamphlet (Zeedel) austeilt. Eine Clique kann Dutzende oder sogar Hunderte von Mitgliedern haben. Größere Cliquen sind traditionell in Binggis (Kinder), Jungi Garde (Jugendliche), Stammverein (Erwachsene) und Alti Garde (alte Garde) unterteilt und bieten neben Freizeitaktivitäten auch regelmäßig kostenlosen Musikunterricht für jüngere Mitglieder an. Jede der oben genannten Cliquen bereitet ihr eigenes Thema für die Fasnacht vor und marschiert, mit wenigen Ausnahmen, unabhängig voneinander durch die Stadt. Jedes Jahr werden etwa 300-400 Sujets erstellt, was die Fasnacht zu einem bunten Schaufenster der Gesellschaft macht. Das Thema kann lokal sein (der problematische Wiederaufbau einer Brücke, die Politik des Bürgermeisters, Unstimmigkeiten zwischen den Bewohnern verschiedener Stadtteile Basels, die Veröffentlichung eines neuen Dialektwörterbuchs usw.) oder es kann die Schweiz als Ganzes betreffen (das Bundesparlament, Fernsehsendungen, Ökologie) oder globale Themen (die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko, die Probleme der Europäischen Union usw.). Viele Themen tauchen in mehreren Gruppen auf, was es interessant macht, zu vergleichen, wie die Gruppe und ihr Künstler das Thema aufgegriffen haben. Zehntausende Baslerinnen und Basler sowie Nicht-Baslerinnen und Nicht-Basler verfolgen die Umzüge, und sowohl die aktive Vorbereitung der Themen als auch das Verfolgen der Umzüge selbst tragen erheblich zum Interesse an öffentlichen Veranstaltungen, zur Sensibilisierung und zum Nachdenken über die gesellschaftliche Situation bei. Und es ist nicht nur ein intellektuelles Nachdenken; die Teilnehmer/innen tragen das betreffende Thema tatsächlich physisch durch die Stadt, allein oder mit anderen, viele Stunden lang, sowohl während der Prozessionen am Nachmittag als auch in den Nächten danach.
MILITÄRISCHER CHARAKTER
Viele Fans verschiedener Karnevalsarten mögen die Fasnacht wegen ihrer Ernsthaftigkeit nicht. Der Basler Karneval ist an eine Vielzahl von ungeschriebenen, aber festen Regeln gebunden, die “heilig” sind (4). Man nimmt auch nicht alleine am Karneval teil, sondern als Teil einer Gruppe, in der man in seiner Schicklichkeit an der Musik von Piccolos und Trommeln teilnimmt, die im Kern militärische Märsche hat, die jetzt oft mit Volksmelodien oder Jazzrhythmen angereichert werden. Selbst ein Spaziergang durch die Stadt hat einen strengen Charakter: Die Truppen marschieren streng links, links nach dem Rhythmus eines meist achttaktigen Marsches. Die intensive Art des Basler Trommelns erinnert an Gewehrfeuer und Rumpeln, das hohe Pfeifen der Piccolos wiederum an das Pfeifen von Kugeln. Auch der Verlauf der Fasnacht hat militärische Elemente. Der bereits erwähnte Moorgestraich (die Fasnacht beginnt um 4 Uhr morgens) stammt zum Beispiel von der morgendlichen Versammlung der Militär-Chicas (5). Und das erste, was man an Fasnacht hört, bevor die Eröffnungsmelodie gespielt wird, ist der Ruf “Fasnacht, Vorwärts, Marsch”, die Fasnacht beginnt mit einem militärischen Appell. Die Reihenfolge der Clique entspricht auch dem militärischen Chic: Die Vorhut (Voordraab) marschiert zuerst, die nicht spielt und ein Pamphlet verteilt oder verschiedene Cliquen-Embleme trägt. Dahinter reihen sich die Trommler (Drummle) in drei oder vier Reihen auf, dann die Pfeifer (Pfiffer), oder andersherum. Jede Clique wird von einem sogenannten Haupttrommler (Tambourmajor) mit einer charakteristischen Maske und einem Zeremonienstab (Tambourmajorstock) angeführt, den er über seinem Kopf trägt, um den Rhythmus vorzugeben. Am Ende jeder Pause ruft er seine Truppe mit dem Ruf “Yystoo” zusammen und leitet den ersten der nächsten Reihe gespielter Märsche mit dem Titel ein, wiederum begleitet von dem Befehl “Vorwärts, marsch!”, genau wie der Leittrommler, wenn er in die Schlacht marschiert. Auch das Schlachtfeld der Fasnacht, das historische Zentrum Basels, ist klar definiert, das Gebiet ist durch die Tradition genau festgelegt. Jeder weiß, wie weit er gehen muss und wo die Grenze endet. Auch die Schlacht wird allmählich vorbereitet. Schon am Sonntag vor der Fasnacht ziehen sich die Chicas in die Mitte zurück, beenden ihre Formationen und begleiten die Laternen (Ladeerne iipfyffe) zu den Klängen von (bisher nur) Piccolos zu den Orten, an denen sie starten werden. Dann kommt der militärische Befehl: “Moorgestraich, Vorwärts, Marsch!” und der Kampf beginnt. Drei Tage und Nächte lang tobt die Schlacht durch die Stadt und findet ihren Höhepunkt am Donnerstagmorgen am Fuße des Spalenbergs, wohin die meisten Chicas ziehen werden. Sie marschieren und spielen hier mit dem größten Elan, bevor die Schlacht um vier Uhr morgens endet. Was für ein Kampf ist das in diesem Karnevalskontext?
HISTORISCHER KONTEXT ODER WIE DER KRIEG MIT DEM KARNEVAL IN VERBINDUNG GEBRACHT WURDE
Die moderne Fasnacht erwächst aus den verschiedenen Fasnachtsfeiern, die in Basel seit dem frühen Mittelalter dokumentiert sind, aber entscheidend ist das 19 (6) . Am Ende des Jahrhunderts treffen zwei ursprünglich parallele Phänomene aufeinander: die karnevalistische Straßensatire mit dem Format der Militärmusik und des Militärmarsches, wodurch eine Synthese entsteht, die bis heute einzigartig ist.
Die Militärmusik entstand aus der Tradition der festlichen Umzüge (Musterungen oder Rekrutierungen), die von den städtischen Vereinen oft während der Karnevalszeit organisiert wurden. Im Zentrum Basels (Groosbasel) waren dies die Zünfte, in den verschiedenen Stadtteilen die Vorstadtgesellschaften und im Kleinbasel die Ehrengesellschaften (7). Jeder Einwohner der Stadt gehörte einer bestimmten Vereinigung an, je nachdem, in welchem Viertel er wohnte oder welchen Beruf er ausübte. Neben dem sozialen Aspekt hatten alle diese Gesellschaften eine aktive Rolle bei der Pflege der Stadt zu spielen; heute würden wir sagen, dass ihre Mitglieder zivilgesellschaftlich aktiv sein mussten. Sie spielten die Rolle der heutigen Polizisten, Feuerwehrleute und der Armee. Jeder Verband “hatte auch einen zugewiesenen Abschnitt der Stadtmauern zu schützen” (8). Die Musterungen, die feierlichen Umzüge der Vereine, hatten eine demonstrative Funktion: Sie repräsentierten diejenigen, die in der Lage waren, die Stadt nicht nur zu hüten, sondern auch in Zeiten der Gefahr zu verteidigen. Besondere Aufmerksamkeit wurde den jungen Männern gewidmet, die neu in diese Funktion eingetreten sind. Die Teilnehmer an diesen feierlichen Umzügen trugen Uniformen und trugen Waffen. Um die Paraden festlich zu gestalten und ihnen Autorität zu verleihen, heuerten die Gesellschaften Militärtrommler und Pfeifer an, um die Parade mit Musik zu begleiten. Vor allem “pensionierte Soldaten verließen die Kaserne und suchten ihr musikalisches Glück in den Vereinen der Stadt. So zog die Militärmusik in Basel in die bürgerliche Sphäre ein” (9) und bildet auch heute noch den Klangkern der Fasnacht. Einen großen Einfluss auf die Form der Fasnachtsmusik hatten die besiegten napoleonischen Truppen, die im frühen 19. Jahrhundert durch Basel zogen und mit ihren neuen Märschen “das bis dahin sehr begrenzte Repertoire bereicherten” (10).
Aber neben den sozialen Umzügen gab es auch eine Reihe von klassischen Karnevalsaktivitäten. Der Einfluss der Einwanderer aus Deutschland und Italien, die ihre eigene Fasnachtstradition mitbrachten, spielte dabei eine wichtige Rolle. Auch die wachsende Rolle der Mittelschicht (die oft aus sesshaften Einwanderern bestand), die es wagte, die etablierte Ordnung zu parodieren, wirkte sich auf das Entstehen der Fasnacht aus (11). In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verbanden sich festliche Gesellschaftsumzüge mit karnevalistischer Satire (12), Uniformen wurden durch Kostüme ersetzt, Waffen durch Musikinstrumente und es bildeten sich die ersten ganzjährigen Cliquen. Die Koordination der Veranstaltungen wird nach und nach von einem Komitee übernommen, das 1911 den Namen Fasnachts-Comité erhält und bis heute die wichtigste Koordinierungsstelle ist. In den 1930er Jahren wurden die ersten Ateliers (Adolf Tschudin, Roger Magne) zur Herstellung von Pappmaschee-Masken für die Fasnacht eingerichtet, und auch immer mehr Künstlerinnen und Künstler waren an der Vorbereitung der Fasnacht beteiligt (13). Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die Fasnacht einen enormen Aufschwung. In den 1950er Jahren wuchs die Zahl der Cliquen und Teilnehmer (14), zu den Cliquen gesellten sich die Blasorchester, die sich stark professionalisierten und deren Zahl rapide zunahm (15), sowie die Zahl der verschiedenen wilden Gruppen, die sich in feinen Nuancen gegen die traditionelle Struktur auflehnten. Die Grundregeln sind jedoch allen gemeinsam: die vollständige Verschleierung durch eine Maske, der militärische Charakter des Piccolo- und Trommelspiels (an den Griffen) und das regelmäßige rhythmische Gehen in einer Art militärischem Schick.
EIN KRIEGSSPIEL?
Kämpfen Cliquen auf der Ebene der Musik und der satirischen Darstellung gegeneinander? Wenn sie beim Gehen für den Stau anhalten müssen oder sich an einer Straßenkreuzung gegenseitig die Vortritt lassen, gehört es zur Tradition, dass jeder versucht, so laut und so gut wie möglich zu spielen. Und es gibt das ganze Jahr über einen gewissen gesunden Wettbewerb zwischen den Cliquen, aber es ist eher eine Neugierde zu sehen, wie gut die anderen das Thema dargestellt haben. Wenn man die Fasnachtsgruppen sieht, die trommelnd und pfeifend durch die Straßen der Stadt marschieren, sieht es so aus, als würden sie in der Musik kämpfen, aber es gibt kein Element des Kampfes gegeneinander. Sie gehen parallel, nebeneinander, hintereinander, aneinander vorbei, aufeinander zu. Es ist eher so, als würden sie gemeinsam kämpfen. Aber gegen wen?
Die Antwort findet sich in den bereits erwähnten feierlichen Umzügen der Stadtgesellschaften im 19. Es ist, als wäre die Fasnacht auch heute noch dieser demonstrative Umzug, nur dass er sich vom ernsten Modus (die Fähigkeit, die Stadt tatsächlich mit Waffen zu verteidigen, zu demonstrieren) zum karnevalistischen Modus (den Feind durch Satire darzustellen und ihn auszupfeifen) entwickelt hat. Drei Tage lang verwandelt sich Basel in ein Forum, einen Raum, in dem die wirkliche Politik stattfindet und an dem alle Menschen teilnehmen. Die Menschen in Basel erleben die totale Gleichheit (an der Fasnacht dutzen alle einander), jeder nimmt innerhalb seiner Clique an der öffentlichen Debatte, am öffentlichen Kampf teil. Aber der Feind ist nicht hinter den Mauern, es reicht nicht aus, die Mauer zu bewachen, um sich zu verteidigen. Der Feind ist innerhalb der Mauern, in uns, in der Gesellschaft selbst. Das Böse, die Ungerechtigkeit, die Bosheit, die die Gesellschaft plagt, ist der Feind, den es zu bekämpfen gilt. Auf den Feind wird nicht geschossen, der Feind muss entlarvt, zur Schau gestellt, ausgepfiffen und herausgetrommelt werden. Fasnacht artikuliert, spottet, macht groß klein, entsorgt vom Sockel. Der versteckte und gefürchtete Feind hat große Macht. Ein entblößter Feind verliert an Macht.
Und so ziehen die Basler jedes Jahr hin und her, hin und her, durch die Stadt. Jeder in seinem eigenen Schick, versteckt in Kostüm und Maske. Durch die Löchern in den Larven beobachten sie ihre Stadt, in der sie jeden Tag vorbeikommen, und die Themen der anderen Gruppen, die an ihnen vorbeiziehen. So wie die Mitglieder der städtischen Vereine früher aufzeigten, wo die Stadt brannte und wo zerstörerische Kräfte am Werk waren, ist die Fasnacht heute eine Demonstration der Fähigkeit und des Rechts, den Feind zu entlarven und lächerlich zu machen, und zwar im Bereich der Satire. Die Fasnacht ist eine rituelle Mobilisierung, eine Machtdemonstration für alle Feinde, die nicht gesehen werden wollen und verdeckt handeln wollen. Die Fasnacht bringt sie ans Licht und besiegt sie rituell durch Artikulation und Humor.
Im Jahr 2020 wurde die Fasnacht buchstäblich am Vorabend ihres Beginns wegen der Pandemie COVID 19 abgesagt. Im Jahr 2021 haben sie lange darüber nachgedacht, wie sie ihren Karnevalskampf trotz aller Einschränkungen durchführen können, aber am Ende haben sie eher ein Museum vergangener Kämpfe als einen Kampf veranstaltet. Das Jahr 2022 war wieder ein Fest des gemeinsamen Kampfes, wenn auch in letzter Minute arrangiert, dafür aber mit umso mehr Schwung und Dankbarkeit.
PHOTOS:
Foto 1
Moorgestraich – Dunkelheit, beleuchtete Laternen und Laternen auf den Köpfen der Masken, Beginn der Fasnacht. Foto von Magnus Roth.
Foto 2
Inhaltsangabe: Zensur in der “Basler Zeitung”. Der Chefredakteur der Lokalzeitung sympathisiert mit der extremen Rechten und wählt die Nachrichten entsprechend aus. Den Baslerinnen und Baslern stehen vor Entsetzen die Haare zu Berge, wenn sie die Zeitung lesen. Fasnacht 2012, Foto von Adam Dědič.
Foto 3
Inhaltsangabe: Wir sind die echten Schweizer. Die Clique reagiert auf die einwanderungsfeindliche Stimmung in den ländlichen Gebieten der Schweiz, wo sie so gut wie keinen Kontakt zu Einwanderern hat. Fasnacht 2014, Foto von Adam Dědič.
Foto 4
Soziale Medien. Die Clique thematisiert die Schaffung von Identität in den sozialen Medien, einschließlich des Verlusts der Privatsphäre. Fasnacht 2014, Foto von Adam Dědič.
Foto 5
Synopsis: El Cartón, das können wir auch. Jedes Mitglied der Clique fertigte seine eigene Larve und eine originelle Konstruktion aus Pappe als Reaktion auf die Weltausstellung in Sevilla, Spanien, an, wo sich die Schweiz mit einem banalen Pappturm präsentierte. Fasnacht 1996, Foto von Markus Tschalär.
Foto 6
Inhaltsangabe: Töte die Massen, wenn wir die Kassen füllen. Die Clique thematisiert den Verkauf von Waffen an Kriegskonflikte. Die Laterne stellt Helvetia (die Personifizierung der Schweiz) als Todesengel mit Flügeln aus Kugeln dar.
FUSSNOTEN:
(1) Der Artikel basiert auf einer langfristigen Feldforschung, die der Autor seit 2011 in Basel durchführt. Mehr dazu z.B. in Olga V. Cieslarová, Fasnacht – Fasnacht in Basel? Prag: DAMU Brkola, 2012, oder Olga V. Cieslarová, Radek Chlup, “Liminalität zum Quadrat. Aktuelle Informationen findet man z.B. unter www.fasnacht.ch; www.baslerfasnacht.info; www.fasnachts-comite.ch. Die Originalversion dieses Artikels wurde in tschechischer Sprache in DINGIR (2/2021) veröffentlicht. Während des Forschungsaufenthaltes in 2022, der vom Schweizer Nationalfond unterstützt wurde, wurde der Text weiterentwickelt und auf Deutsch veröffentlicht.
(2) Aus dem Tagebuch der Autorin von ihrem ersten Besuch an der Fasnacht im Jahr 2011. Wurde publiziert als Cieslarová, Olga, V Basileji karneval? DAMU/Brkola, 2012.
(3) In Basel wurde die alte Berechnung des Fastenbeginns beibehalten, die die Sonntage mit einschloss, wodurch die Fastenzeit insgesamt kürzer wurde.
(4) Felix Rudolf von Rohr, “Narrenfreiheit und ihre Grenzen – Ungeliebe Regeln für einen geregelten Ablauf” in Fasnachts-Comité (ed.), Basler Fasnacht: Vorwärts, marsch! Lääse, loose, luege! Basilej: Christoph Merian Verlag, 2009, s. 34.
(5) Dostupné z URL: https://altbasel.ch/dossier/morgenstreich_basel.html [23.5.2022].
(6) K prehistorii současné Fasnacht např. Katja Zimmer, In Bökenwise und in tüfels hüten – Fasnacht im mittelalterlichen Basel, Basel: Schwabe 2005; Ulrich Barth – Dorothee Huber – Martin Alioth, Basler Stadtgeschichte 2 – vom Brückenschlag 1225 bis zur Gegenwart, Basel: Friedrich Reinhardt Verlag 1981; Eugen A. Meier (ed.), Die Basler Fasnacht: Geschichte und Gegenwart einer lebendigen Tradition, Basel: Fasnachts-Comité, 1985, str. 23-80.
(7) Paul Koelner, „Basler Fasnacht“ in Fasnachts-Comité (ed.), D’Basler Fasnacht, Basel: Fasnachts-Comité 1946, s. 31.
(8) Thomas Bürgi. “Geburt der Basler Fasnacht aus dem Geist der Immigration: Die Basler Fasnacht vom Ende des Zunftregiments bis zum Ersten Weltkrieg”, in Zwischentöne: Fasnacht und städtische Gesellschaft in Basel, 1923-1998, Basel: Buchverlag der Basler Zeitung 1998, s. 15.
(9) Edith Habraken, Doublés mien Grällele – Auf den Spuren des Basler Trommelns, Basel: Schwabe, 2015, s. 13.
(10) Bernhard Batschelet, „Trommeln und Pfeiffen in Basel“, in Fasnachts-Comité (ed.), Basler Fasnacht: Vorwärts, marsch! Lääse, loose, luege! Basel: Christoph Merian Verlag, 2009, s. 60.
(11) Thomas Bürgi. „Geburt der Basler Fasnacht…”, s. 22–23.
(12) Z.B. die älteste noch funktionierende VKB (Vereinigte Kleinbasler) 1884, d.h. die Vereinigung der Kleinbasler.
(13) Dominik Wunderlin, „Gesichtslarven in der Basler Fasnacht“, Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde, 2005/2006, roč. 36, s. 245.
(14) Die Anzahl der Teilnehmer am Umzug wird seit der Gründung des Fasnachts Comité im Jahr 1911 aufgezeichnet, wobei bis 1971 nur die Anzahl der Gruppen und seit 1972 die spezifische Anzahl der Teilnehmer am Cortége-Umzug bekannt ist. Zitiert in Meier (Hrsg.) Die Basler Fasnacht…, S. 405-423, und in Basler Fasnacht: Vorwärts…, S. 172-182.
(15) Thomas Riedtmann, „Basler Guggenmusiken, Auf dem Weg zur Professionalisierung“ in Basler Fasnacht: Vorwärts…, s. 76–79.